TERRITORIES AND TRACES Eiche, Fichte
Es ist Montag. Geräusche aus dem Treppenhaus erwecken meine Neugier. Ich öffne die Wohnungstür, um nachzusehen. Es sind Handwerker, die gerade dabei sind die Stufen im Treppenhaus zu entfernen und durch Neue zu ersetzen. In diesem Moment kommen mir etliche Gedanken in den Kopf. Über diese stillen Begleiter des Hauses in dem ich aufgewachsen bin, die über Jahrzehnte Spuren aufgenommen haben, von jeder Person, die in diesem Haus gewohnt hat und diese Stufen immer wieder betrat.
Das Haus war 1893 in München erbaut worden, überdauerte städtische Umbaumaßnahmen und die Stufen wurden nie ausgetauscht. Sie tragen die Spuren von jeglichen Bewohner*innen und Besucher*innen des Hauses. Sie führten zu der Wohnung, in der meine eigene Familiengeschichte entstand und sich abspielte. Sie führten über 130 Jahre zu Wohnungen von Personen und deren Erlebnisse. Durch ihre physische Präsenz sind Sie abstrakte Speicher kollektiver und persönlicher Erinnerungen und tragen deren Spuren.
Auf meine Frage, was mit den Stufen geschehe, antworteten die Handwerker, dass sie die Stufen entsorgen würden. „Könnte ich sie haben?“. Die verschwitzten Treppenbauer fragten mich wiederum verwundert, wie viel ich denn möchte. Mit einem Grinsen im Gesicht antwortete ich: „Alle!“.
In meiner Diplomarbeit „Territories and Traces” installiere ich 40 ausgewählte Tritte dieser Treppe. Sie sind aus Eichen- und Fichten-Holz und ihre Oberfläche je nach Etage unterschiedlich abgenutzt. Ich installiere sie senkrecht und mit gleichem Abstand nebeneinander an der Wand. Sie kommen vom Boden an die Wand und von der Waagrechten in die Senkrechte. Ich ändere die Perspektive, fokussiere den Abrieb der Oberfläche, der durch das Abschreiten im Raum in den Fokus rückt. So entsteht ein anderer Blick auf die Stufen und ihre Geschichte, die sich durch jahrzehntelange Nutzung in das Holz eingeschrieben hat.
Durch die Änderung der Perspektive und dem Fokus auf die Oberfläche werden die Teile eines Nutzgegenstandes zur Skulptur und die Bewohner*innen und Besucher*innen, welche durch Abrieb und Belastung den Objekten ihre finale Form gegeben haben, zu Bildhauerinnen und Bildhauern.
In meiner Installation verbinde ich Ansätze der Arte Povera und der Minimal Art. Ich nehme Elemente aus dem alltäglichen Gebrauch, bereits genutztes Material und positioniere sie in minimalistischer Anordnung. Durch die Verbindung von rauem, gebrauchtem, abgenutztem und verletztem Material mit einer puristischen und auf die Einfachheit reduzierten Positionierung entstehen Räume, in denen der Ausgangspunkt des Materials und die Narben vieler Jahre gleichzeitig zu sehen sind.
Ömer Faruk Kaplan