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SATURN FRISST SEINE KINDER

Diplomarbeit – Eckhard Nikolaus 2017

 

Beton ist ein Baustoff ohne eigene Form. Frischer Beton hat ein unglaubliches Anpassungsvermögen – korrekter: ein Vermögen mit seinem Gegenüber in einem Austausch zu stehen. Die Berührung findet nicht nur zwischen Betonhaut und Schalungshaut statt, sondern geht in die Eingeweide beider Körper.

 

Saturn frisst seine Kinder. ist Skulptur, Performance, Selbsterfahrung und Forschungsreise. Im Fokus stehen Beton, der menschliche Körper und das Bedürfnis Materialität näher zu kommen. Als Betonschalung agiert der Körper des Künstlers selbst. Greifbare Ergebnisse des Projekts sind eine 700kg Betonskulptur/-Säule und eine 170g Publikation inklusive Fotostrecke und Erfahrungsbericht.

 

Beton ≠ Zement + Zuschlagstoffe + Wasser

 

Beton ist einzigartig in seiner Widerständigkeit gegenüber Gattungsbegriffen: flüssig/fest; natürlich/künstlich; alt/modern; warm/kalt; hart/weich. Dementsprechend schwer ist es, zu definieren was Beton überhaupt ist – ob er tatsächlich schon vor 14 000 Jahren benutzt wurde, oder sogar als natürliches Material vorkommt.

 

Unabhängig von der Historizität des Materials ist es kaum möglich, über Beton zu sprechen, ohne dabei über die Moderne zu sprechen. Dem Material wird eine vermeintliche Modernität fast zwanghaft aufgedrückt – Historizität und Kultur werden dabei zugunsten von Ideologie verleugnet.

 

1914 zeichnet Antonio Sant‘elia seine Perspektiven der Città Nuova – futuristische Stahlbetonphantasien, die heutigen Städten erschreckend nahe kommen. Zwei Jahre zuvor beendet der Postbote Ferdinand Cheval den Bau seines Palais Idéal. 33 Jahre lang hat er daran betoniert – nicht gezeichnet. Täglich fuhr er als Landpostler 30km mit dem Rad und sammelte dabei sukzessive die Steine für sein künstlerisches Lebenswerk vom Wegrand.

Er betonierte alleine und mit der technischen Ausbildung eines Bäckers. Die Ergebnisse sind phantastisch. Dennoch: der Landbriefträger aus dem Rhonetal und sein Palais Idéal – seine Skulptur, Architektur und Performance – finden im ‚großen Narrativ‘ kaum Beachtung. Das im Palais Idéal liegende Verständnis des Materials, von dem wir umgeben sind, bleibt stumm. Beton ist das weltweit am zweit häufigsten genutzte Material nach Wasser. Pro Person werden jährlich über 2,5 Tonnen davon produziert. Allein die Zementproduktion macht 5-10% des globalen Co2 Ausstoßes aus.

 

Die Moderne Architektur behauptet eine vergeistigte Axonometrie, die ihren direkten Weg vom Zeichenblatt zur steinernen Struktur findet. Ganze Stadtmaschinen entstehen nach den Vorstellungen einzelner SchöpferInnen. Das Verständnis das die moderne Architektur von Beton hat, antizipiert gewissermaßen den 3D-Druck des „digitalen 21. Jahrhunderts“. Die komplexen Prozesse dahinter, die handwerkliche Arbeit und der Körper, werden ausgeklammert.

 

Saturn frisst seine Kinder. Er tut dies, bis ihm seine Frau Ops einen Stein anstatt des Jupiters gibt. Saturn verschlingt den Stein ohne einen Unterschied zu merken. Später wird er – von Jupiter vergiftet – 5 Kinder in die Welt erbrechen. Den Stein vermutlich auch.

 

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